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Grafenau 2022

on air

30.06.2022 -- 16.07.2022

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Martin Müller – Ausstellung „on air“, Grafenau, 30.06.2022Einführung: Karl-Heinz Reimeier, Kreisheimatpfleger

„Kunst kann heilsam wirken. Dies gilt seit jeher und in allen Kulturen. Der Mensch ist kreativer Schöpfer, von innen nach außen und von außen nach innen: innere Bilder können ins Außen abgegeben werden und äußere Bilder ins Innere aufgenommen und interpretiert werden. Beides ist Kreativität, die jedem Menschen innewohnt, in ganz individueller
Weise“.
Das was ich gerade vorgelesen habe, war ein Zitat. Gesagt hat das nicht Josef Beuys oder Picasso oder Markus Lüpertz oder sonst irgendein weltberühmter Künstler, gesagt hat das der Mann, der Künstler, der
heute hier im Kulturpavillon ausstellt: Martin Müller. Lieber Martin, herzlich willkommen hier in Grafenau.
Und damit auch ein herzliches Gruß Gott allen Freunden der Kunst, allen Freunden und Bekannten von Martin Müller und allen Interessierten an seiner Kunst.
Was der Martin da gesagt hat, stimmt, das trifft zu, für ihn auf alle Fälle. Er ist ein Mensch, der voll und ganz in dieser unserer bisweilen verrückten Welt steht. Er ist ein Mensch, der etwas ganz besonders gut
kann – er erlebt diese Welt mit allen Sinnen. Er hat ganz feine Fühler, damit erspürt er diese Welt in einer Vielzahl von Facetten, er nimmt das Schöne auf und das Hässliche, er fühlt die Gefahren genauso wie die rettenden Momente, er gibt sich der Natur hin und auch den Menschen, er erlebt Augenblicke der Angst oder der Verzweiflung genauso wie Augenblicke des Glücks, des Zufriedenseins, und – alle diese Eindrücke hängen bei ihm fest, bleiben haften, verschwinden nicht mehr, und er geht mit diesen Eindrücken schwanger, lange oft, so lange, bis er nicht mehr anders kann und er sich von der Überfülle, der Macht, der Gewalt dieser Eindrücke lösen muss – irgendwie.

Entweder, er tut auf und davon oder er greift zu Pinsel und Farbe, um sich zu befreien, oder er
modelliert und schafft Plastiken, ja, und manchmal ist es das Schreiben, und dann schreibt er Gedichte, in denen er seine momentanen Gefühlszustände auf den Punkt bringt. – Ein Beispiel:

 

 

 

 


In diesem Gedicht stecken nicht nur Worte, in diesem Gedicht steckt Leben. Es sagt eigentlich alles aus über die Bilder und Objekte die wir hier sehen und vor allem über den Menschen, der das alles gemacht hat, über Martin Müller selbst. Umsorgt sein, sicher sein, das mag er, und das braucht er auch, um sich zur rechten Zeit auf sich selber besinnen zu können, um sich seiner Kunst widmen zu können und gleichzeitig, um seinen Fernwehspeicher langsam wieder laden zu können. Weil der Reiz der Ferne, der Reiz des Neuen, der Reiz des Unbekannten tief verwurzelt in ihm drinnen sitzt. Das Unbekannte, auch das Unerkannte verführen ihn immer wieder, die Gewohnheiten, die üblichen Wohlfühlsituationen, die üblichen Sicherheiten zu verlassen, Grenzen zu sprengen und auf Wanderschaft zu gehen, nicht nur zu Fuß oder per Auto, oder per Flugzeug, oder mit dem Segelboot, nein, Grenzen zu sprengen vor allem mit dem Kopf, mit dem Geist. Das muss sein, das braucht er, unbedingt, weil es in ihm drinnen wurlt, das braucht er, weil die Neugierde nach allem, was die Welt bietet, ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Und bei jedem Ausbruch befriedigt er diese Neugierde, die ein bestimmendes Element seiner
Natur, seines Wesens ist. Und wer neugierig ist, der lernt dazu, und Martin lernt gerne, und Martin lernt immer. Er lernt zum Beispiel, Scheu abzubauen vor dem, was fremd ist und – er lernt, weil sein Horizont sich immer mehr und mehr erweitert, sich von Vorurteilen zu befreien gegenüber fremden Menschen, von Vorurteilen gegenüber fremden Kulturen, von Vorurteilen gegenüber fremden Ansichten und Anschauungen, - und das ist etwas, was in einer Zeit gerade wie der heutigen von unschätzbarem Wert, von grundlegender Bedeutung ist für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben innerhalb der mehr und mehr auseinandertriftenden Gesellschaft.
In seinen Arbeiten zum dem Zyklus „Die vier Elemente“, „Cross the border“, „Crossover“, „on fire“ und als letztes „on air“ geht er total auf, und das bereits über Jahre hinweg. Körperlich, wie gesagt, mit den
Füßen und geistig, wie gesagt, mit dem Kopf. Und das gelingt ihm eben am besten immer dann, wenn er seinen gewohnten Kreis verlässt, den Kreis, der ihn wie eine Schutzhülle umgibt, in dem er Geborgenheit fühlt, in den er auch immer und immer wieder zurückkehrt und zurückkehren
muss. Und trotzdem ist dieses Heraussteigen aus der Sicherheit für ihn tatsächlich ein Muss, er kann nichts anders, das steckt seit seinem „Flügge-Werden“ in ihm und dann geht er dorthin sehr bewusst, dorthin, wo er überrascht wird, wo er gefordert wird, wo er reagieren muss, wo Ungewissheit und Unsicherheit auf ihn eigentlich schon warten. Und er geht aufs Meer, zum Beispiel. Das Meer verlangt ihm alles ab, körperlich, geistig. Gefahr. Angst. Alles ist da. Und das alles malt er dann auch.

Und wenn es an der Zeit ist, erst dann, dann wechselt er den Ort, wie so oft, dann wird das Meer zum Gebirge, nicht nur gedanklich, sondern sehr reell, und in seinem Geist wuchern die Wellen zu
haushohen Bergen, die er dann auch besteigt, die unbedingten Einsatz fordern, Überwindung von Höhenmetern, Überwindung der eigenen körperlichen und psychischen Grenzen, den eigenen Schweinehund besiegen. Aber dann, vor der Leinwand, verwandelt sich bei der kreativen, zeichnerischen oder malerischen Rückschau und Umsetzung die schäumende Gischt des Meeres zu unüberwindbaren Schneefeldern mitten im Gebirge, während die Steine und Felsen sich auflösen und zu
schäumenden Wellen werden. Daniel J. Schreiber, Kunsthistoriker, Philosoph und Direktor des Buchheim-Museums in Bernried am Starnberger See, beschreibt diesen Zustand des Erlebens und kreativen
Umsetzens treffend, wenn er im Vorwort zu „Cross the border“ schreibt ich zitiere:
„Nach der Rückkehr packt Müller die Schaffenswut. Beunruhigende Gedanken und Gefühle verwandeln sich unter seiner malenden Hand in ausgewogene Farb- und Flächenkompositionen. Aufpeitschende Wellenkämme geraten zu rhythmischen Reihungen verschiedener Blautöne. Eine vor dem Bug rollende, sechzehn Meter hohe Welle erscheint als maserig belebtes, tiefblaues Feld, von dem sich in gleißendem Weiß Schiffsrumpf und Segel abheben. Die nächtliche Annäherung an einen Hafen nimmt in tanzenden Farbtupfen auf fleckigem Schwarz Gestalt an“. Ende des Zitats. Der menschliche Geist als, plus dem, was draußen passiert, draußen in der Welt, draußen in der Natur, das sind seine Kraftquellen, die sich
gegenseitig antreiben und die es möglich machen, Raum für die Kreativität zu schaffen, mit der es möglich ist, festgefahrene Strukturen aufzulösen und Bewegung ins Leben zu bringen.
Und dann wird alles Kunst – das Leben selbst und die Umsetzung des Lebens – und dann kommt die Idee dazu und noch eine – und die Idee wird zur Kunst. Das ist leichter gesagt, als getan. Das kann nicht jeder, er kann`s – weil – zur Umsetzung einer Idee gehört auch das Können. Und dieses Können hat er von Haus aus angelegt gehabt in sich selbst als Talent, mitgegeben, vererbt, und er hat es vertieft in der freien Kunstwerkstatt München bei Prof. Hans Seeger, mit Abschluss und Diplom.
Martin Müller ist in Gröbenzell, Landkreis Fürstenfeldbruck, zu Hause und in Grafenhütt, so sag ich das jetzt mal, „do is a dahoam“. Das spürt man sehr schnell, wenn man mit ihm redet. Er ist keiner von denen, die ihre Heimat verleugnen, nur weil sie sich draußen in der sog. großen,
weiten Welt bewegt, im Gegenteil, er steht zu seiner Heimat. Alle Titel seiner Arbeiten um den Themenkreis der vier Elemente sind in Mundart gehalten, im Dialekt, in seiner von klein auf eingewachsenen Sprache. Ungewöhnlich – aber ehrlich und vor allem – treffend. Weil man mit dem
Dialekt das, was man sieht, das was man spürt und fühlt und denkt, genauer beschreiben, genauer ausdrücken kann, die Zartheit des Feuers und seine Wildheit, zum Beispiel, die Gefährlichkeit des Wassers und seine Sanftheit, die Dominanz der Berge und ihre Demut, die Erotik des Feuers und seine explosive Urkraft - auf die Leinwand gemalt, oder gemischt, oder geschüttet, oder gespritzt oder gekratzt.
Anregung und Zuspruch und Bestätigung sucht und findet Martin Müller bei den griechischen Philosophen. Das hat mich natürlich wieder fasziniert, nachdem ich in meiner Schulzeit selber eine humanistische Ausbildung genießen durfte mit griechischer Sprache, griechischer Geschichte und griechischer Philosophie. Diesen Philosophen fühlt er sich, wie ich schnell erkannt habe, von seinem Denken her sehr verbunden, sei es nur Heraklit oder Empedokles oder Thales, oder, wie hier, für diese Ausstellung „on air“ Anaximènes. Anaximènes sieht die Luft als Urstoff an, aus der alles entsteht. Sobald sich die Luft verdichtet, entsteht Wasser und Gestein, sobald sie sich verdünnt, entsteht Feuer,
so sagt Anaximèdes. Dass der Kosmos ein harmonisches Ganzes ist, das geht auf diesen Philosophen zurück, ein harmonisches Ganzes, das sich zwar ständig verändert, aber von ewigem Bestand ist.
Und hier kommt der Künstler Martin Müller wieder ins Spiel – und wie! – Er geht jetzt her und sagt, er will diese „Luft“ malen. Sie fehlt ihm noch als viertes Element in seinem Zyklus von Wasser, Erde, Feuer und eben Luft. Und so lange dieser Zyklus nicht abgeschlossen ist, findet er keine Ruhe, befindet er sich ständig in einem inneren Zwang, weil da noch was ist, was nicht fertig ist, weil da noch was ist, was vollendet werden will. Und da geht`s ihm so, wie uns halt auch, wenn wir etwas Unfertiges
ständig vor Augen haben, dass wir unruhig werden und unzufrieden. Und er hält das nicht aus und er fängt tatsächlich an, „Luft zu malen“. Das Gespräch darüber mit ihm werde ich nie vergessen. Luft malen - . Was für eine Idee! Und je länger wir uns darüber unterhalten, umso mehr komme ich zu der Überzeugung, dass das Malen von Luft irgendwie möglich sein muss, dass es vielleicht sogar automatisch vor sich geht, weil sie ja sowieso einfach da ist. Auf den fertigen Bildern auf alle Fälle
ist sie zu spüren. Der Gegenstand, die Natur, das Drumherum, die Atmosphäre, die Tages- oder Jahreszeit, die eigene Befindlichkeit und die Befindlichkeit des Künstlers beim Malen befinden sich alle in der Luft, liegen alle in der Luft. Alles, was mit Seele zu tun hat, wird durch die Luft getragen und beeinflusst den Maler und den, der das Bild betrachtet, genauso. Ich bin echt gespannt, wie es Ihnen, wie es euch geht, wenn Sie die „Luftbilder“ anschauen. Welcher Hauch von Luft Sie dabei umgibt,
welchen Geschmack, welches Gefühl, welche Atmosphäre Sie wahrnehmen. Luft bewusst wahrnehmen – das ist eine Aufgabe der besonderen Art, das ist Philosophie, hier speziell die Philosophie in der
Kunst von Martin Müller, - nicht mehr nur den historischen Wurzeln entnommen, sondern aktuell sichtbar und spürbar interpretiert. Respekt – sag ich da nur. Der Mensch Martin Müller, der Künstler Martin Müller,
der traut sich da einiges zu! Wasser, Erde, Feuer – und jetzt die Luft. – Ein letzter Schaffensakt ist beendet, ein ganzes Projekt ist beendet und diese Ausstellung ist der ersehnte Zielpunkt auf einem langen, nicht immer ganz einfachen Weg, den Martin jetzt über viele Jahre sehr konsequent gegangen ist. Und das Schönste an allem ist, dass er dieses Ziel in seine Heimat verlegt hat und dass wir alle beim Zieleinlauf mit dabei sein dürfen. Dafür sage ich vielen Dank persönlich und im Namen von uns allen, die heute hier dabei sein dürfen.


Ich bedanke mich fürs aufmerksame Zuhören und wünsche dem
Künstler und Ihnen/euch allen einen erfolgreichen und vor allem
interessanten Abend.
Vielen Dank.

"Umsorgt von wohligem Dasein
verzehr ich mich nach Sturm.
Umsorgt von wohligem Dasein

getragen von Wind benetzt von Regen
geschürt vom Blitz.
Umsorgt von wohligem Dasein
verzehr ich mich."

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